Umsonst(T)raum Jena - umsonst im Paradies
Umsonst(T)raum - Thesen für eine solidarische Ökonomie
Thesen für eine solidarische Ökonomie
Ein Diskussionsbeitrag aus dem Arbeitskreis Lokale Ökonomie Hamburg
- Die Versuche der letzten 130 Jahre den Kapitalismus zu überwinden sind gescheitert. Dort, wo Menschen den bisherigen "Staatsapparat" übernahmen, konnte die Gesellschaft nicht grundlegend aktiviert werden, konnten die wirklichen, lebendigen Menschen ihre Lebensumstände, auch ihre Wirtschaft, nicht schrittweise in die eigenen Hände nehmen. Die traditionellen "linken" Konzepte und Parteien bauten auf erziehungsdiktatorischen Vorstellungen auf, waren nicht auf kritische, selbsttragende, langfristige Aktivierung aus. Im "Arbeiter- und Bauernstaat" hatten die hiermit Angesprochenen keinen bestimmenden Einfluss.
- Aber auch die Versuche, die neuen antikapitalistischen Lebens- und Wirtschaftsweisen "von unten" einzuführen, sind bisher gescheitert. Es ist lehrreich, sich die Geschichte dieser Versuche genau anzusehen. Schon die klassischen Produktiv- und Konsumgenossenschaften des achtzehnten Jahrhunderts wurden schnell von den Marktkräften aufgesogen. Im Markt hielten sich viele noch Jahrzehnte, teilweise bis in die Gegenwart. Aber die allermeisten stehen keineswegs mehr für eine "Keimform" für eine menschlichere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und wollen keine andere als die bestehende. Fast alle heutigen Genossenschaften haben mit dem Marktbezug, mit Ware, Geld, Kapital und darauf bezogener Staatlichkeit ihren (oft unausgesprochenen) Frieden geschlossen. Berufsrepräsentanten bestimmen weitgehend den Ablauf dieser Organisationen, egal, ob die Mitgliedschaft, die "Genossen", gerade etwas mehr oder weniger "mitbestimmen". Im Gegensatz zu den völlig angepassten Genossenschaften gibt es die Sozial- und Selbsthilfegenossenschaften mit einem reformerisch - prokapitalistischen Selbstverständnis. Diese gilt es in eine Debatte um einen neuen solidarwirtschaftlichen Sektor herzlich mit einzubeziehen!
- Die Alternativbewegung der 70er bis 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wiederholte in wenigen Jahren die Marktanpassung der traditionellen Genossenschaftsbewegung. Keiner der tausenden von Ansätzen hatte ein waren- und geldkritisches Grundverständnis. Man wollte sich einfach als "Kollektiv", anfangs ohne innere Hierarchien, "am Markt bewähren". In ca. zwei bis zehn Jahren waren daraus ganz "normale" Betriebe und Läden geworden. Die Hierarchien entstanden wieder neu und die allerwenigsten Beteiligten kümmerten sich um die politischen Ansprüche ihrer Gründungsphase. Die Alternativbewegten hatten die Anpassungszwänge ihres eigenen Marktbezuges gewaltig unterschätzt. Trotzdem gibt es auch heute noch massenhaft Leute, die "solidarische Ökonomie" mit dem gemeinsamen Bedienen des ganz gewöhnlichen Warenmarktes verwechseln oder zumindest für problemlos vereinbar halten.
- Auch herrscht hier und da die Illusion vor, dass die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte in dieser alten Gesellschaft für sich genommen die Aufgabe einer neuen Gemeinschafts- und Gesellschaftsbildung "von unten" in ihren Anfängen fördern oder gar lösen könnte. Der gegenwärtige Stand der Produktivkräfte gerade in seinen jeweils modernsten Gestalten ist fest in der Hand des Kapitals. Der Fabber (ein sich in der Entwicklung befindender, universeller Kleinteile-Herstellungsapparat) bringt keine neuen gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Welt. Erst entwickelte waren- und wertkritische Gemeinschaften können überhaupt entscheiden, welche Technologien sie wie gestalten wollen. Alles andere dient nur weiter dem Markt und einer weiteren Verselbständigung der menschlichen Wesenskräfte in Form von Arbeitskraft einsaugendem Kapital.
- Die Dauerkrise der marktbezogenen Erwerbsarbeit ermöglicht und erzwingt immer wieder neue Initiativen der bewusst betriebenen Nachbarschaftshilfe, gegenseitiger Hilfe, auch des gemeinschaftlichen Marktbezuges. Kapitalismusüberwindende keimhafte Ansätze entstehen jedoch nur dort, wo bewusst versucht wird, einen (wachsenden und zusammenwachsenden) nicht waren- und wertbezogenen "Innenraum" zu schaffen, also einen vom allgemeinen Markt sorgfältig abgetrennten Erfahrungs- und Beziehungsraum. Ob Genossenschaft oder Kommune, ob lose Gruppe oder eingetragener Verein: Die Rechtsform der jeweiligen Vereinigungen kann sich nur sinnvoll auf den anfangs wahrscheinlich noch nötigen Marktbezug dieser experimentellen Gebilde beziehen. Wem der Markt "das ganze Leben" bedeutet, der oder die soll sich darin erschöpfen. Wem das jedoch nicht genügt, wer einen praktischen Ausweg aus dieser Wertvergesellschaftung sucht, sollte nicht all ihre/seine Lebenskraft, alle Neigungen auf den Markt werfen, sondern sie diesem solidarischen "Innenraum" und damit in einem tieferen Sinne sich selbst gönnen.
- Nötig ist es also, zweigleisig zu verfahren: Ausdrücklich und bewusst sollten die verschiedenen Ansätze (egal ob Kommune oder Wohnprojekt, Hausgemeinschaft oder Erwerbslosengruppe, Projektgemeinschaft oder Umsonstladen) einen Bereich schaffen, in dem sie anfangen, unmittelbar füreinander praktisch-solidarisch zu wirken und die Früchte dieses Wirkens den Aktiven dieser Gemeinschaften zur Nutzung geben: Kein Tausch, kein Wert, kein Geld, sondern Nutzen der Dinge und menschliche Kontakte!
- Nur in diesen solidarischen Innenräumen der Gruppen können kapitalismus-überschreitende Wirtschaftsbeziehungen entstehen Nur dort können in einem jahrelangen Prozess die menschlichen Eigenschaften wachsen, um sich in solche solidarischen Gruppen gestaltend einbringen zu können. Praktische Solidarität im Alltag ist erlernbar. Es ist jedoch nicht sinnvoll, sie einfach idealistisch vorauszusetzen.
- Wenn es den verschiedenen Ansätzen solidarischer, warenkritischer Ökonomie gelingt, praktische, verabredete arbeitsteilige Beziehungen untereinander zu entwickeln, kann sich aus Inseln der Solidarität in einem Meer von Konkurrenz ein gesellschaftlicher Sektor herausbilden, der sich allmählich von den Zwängen des Marktes ablöst.
- Existenziell für ein Wachstum der verschiedenen Projekte ist u.a. ein offener und solidarischer Umgang mit den Fehlern, Grenzen, Schwierigkeiten, auf die die jeweiligen Gruppen stoßen. Wenn eine Teilunternehmung kriselt oder scheitert, sind diese Erfahrungen für alle Aktiven - international - wichtig. Genau zu wissen, warum etwas nicht funktioniert hat, ist ein entscheidendes Element, um Lösungswege für einen bewussteren, gemeinschaftlichen und schließlich gesellschaftlichen Zusammenhang entwickeln zu können. Also, berichtet selbstbewusst und genau von euren Fehlern !
- Ein solidarischer Umgang miteinander im Alltag, eine Verbesserung der Lebensumstände durch gegenseitige Unterstützungen kann der gemeinsame Nenner der unterschiedlichen Ansätze und Weltbilder sein. Jedoch wird es kaum möglich sein, ohne die Erkenntnisse aus einer sorgfältigen Analyse, was Waren, Geld und Kapital eigentlich sind, einen Ausweg aus diesen Beeinflussungen zu finden, Die Vergesellschaftung über den Wert haben wir als Teil dieser Gesellschaft so tief verinnerlicht, dass wir diese immer wieder veräußerlichen würden, wenn man uns, beispielsweise aus einer vorher unbewohnten Insel, von diesen Umständen trennen würde...
Als "Tanz um das goldene Kalb" wurde die Wertorientierung schon ansatzweise im "Alten Testament" der Bibel kritisiert. Seit auch global die menschliche Arbeitskraft zur Ware geworden ist, hat diese Orientierung eine neue Qualität bekommen. Die Menschen sind global Sklaven des Kapitals, des sich verselbständigenden sich selbst verwertenden Wertes, geworden. Das merken die Menschen meistens erst, wenn ihnen diese Art Arbeit dauerhaft entzogen wird. Diese Wertorientierung wächst überall dort wieder neu, wo Menschen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang nicht bewusst gestalten. Deshalb ist es eine Illusion, das Kapital "zähmen" zu wollen, ohne die wirkliche Bestimmung des gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Zusammenhanges gewaltig zu entwickeln. Dabei spielt auch eine selbstständige, selbstbestimmte, kritische Bildung (vielleicht in Freien Volkshochschulen...) eine große Rolle... Wenn sich den Menschen ihr eigener gesellschaftlicher Zusammenhang in Kapital, Ware und Geld verselbständigt hat, dann können sie nur anfangen, diesen ihren Zusammenhang, ausgehend von ihrem alltäglichen Leben, direkter zu gestalten. Dann hat schließlich der Wert, das Kapital, auch wenn diese Kraft noch in dieser Welt ist, keine Bedeutung mehr für sie.
- Die Bestimmung über den gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Zusammenhang in Tat und Wort kann sich nur "mikrologisch" in (Klein-)Gruppen zeigen und sich von dort her gesellschaftlich auswachsen. Wer und wie viele der jeweiligen Gruppenmitglieder bestimmen wirklich den Ablauf und das Konzept des Gruppenlebens? Wer erledigt auch die nötigen, vielleicht unbeliebten Routinearbeiten? Wer redet nur und tut wenig?? Das betrifft auch die Überwindung einseitiger geschlechtlicher Rollenteilungen.
Gruppen können sich in einem selbstkritischen Bezug die Aufgabe stellen, die reale Bestimmungsgewalt in ihrem Gruppenleben allmählich auf eine wachsende Anzahl von Aktiven zu verlagern. Alle Versuche einer langfristigen Demokratisierung der Beziehungen in den Gruppen können überall in unserer vorgefundenen Gesellschaft nur verändernd ansetzen an einer faktischen Bestimmungsgewalt von ganz wenigen Repräsentanten und Initiatoren dieser Gruppen, die überall die faktische Macht haben. Nur die Anerkennung dieser in fast allen Gruppen vorhandenen Herrschaft und die bewusste, überwindende Arbeit an dieser fest verankerten Struktur von Repräsentanten und Repräsentierten ermöglicht eine allmähliche Aktivierung und Auflösung dieser versteinerten Verhältnisse in lebendige, menschliche Aktivitäten. Schon B. Brecht kritisierte zielsicher: "Viele stehn im Dunklen und wenige stehn im Licht." Und erst wenn die, welche im Dunkeln stehn, durch tätiges Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte sich sichtbar gemacht haben, ist dieses grundlegende Herrschaftsverhältnis gebrochen. (Siehe Papier des AK LÖK "Zur Kritik des Repräsentativsystems.)
- Ein wichtiger Vorläufer für ein Zusammenwachsen verschiedener unterschiedlicher Ansätze ist eine lebendige, kontroverse Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Marktökonomie. Daraus könnte bei Respekt der diskutierten Unterschiede ein loses Netzwerk entstehen für einen Erfahrungsaustausch und für praktische Verabredungen zwischen den Gruppen. Nötig wäre land - übergreifend, städte - übergreifend füreinander etwas herzustellen und sich dieses wechselseitig ohne direkte Abrechnung zur Verfügung zu stellen. Ein Ansatz wäre eine gemeinsame Liste der Bedürfnisse zu eröffnen und zu pflegen. Noch sind diejenigen in den Gruppen, die "über den Tellerrand" hinaus denken und sich ortsübergreifend praktisch verbinden wollen, eine kleine Minderheit. Aber wenn die vielen einzelnen Gruppen sich entschließen, wegen ihrer "Besonderheit" ihres eigenen Ansatzes für sich zu bleiben, dann bleiben sie isoliert und sie können keinen Beitrag leisten zu einer gesellschaftsweit wachsenden, solidarischen Vereinigung, die den Namen verdient.
- November 2006
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